#102 WENNINGER: Wie die AK zu den Arbeitnehmer:innen kam

March 18, 2024 00:56:04
#102 WENNINGER: Wie die AK zu den Arbeitnehmer:innen kam
MONTALK - Der Podcast zum Mitreden
#102 WENNINGER: Wie die AK zu den Arbeitnehmer:innen kam

Mar 18 2024 | 00:56:04

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Show Notes

Eine Interessenvertretung für Arbeitnehmer:innen war eine der ersten Forderungen der Arbeiterbewegung. Wie die Arbeiterkammer ein Teil der demokratischen Republik Österreich wurde, was damit die sogenannten “Ziegelbehm” zu tun haben und wie die AK nach dem Austrofaschismus und der NS-Diktatur wiedererrichtet wurde, weiß Dr. Florian Wenninger, Leiter des Institutes für historische Sozialforschung.

 

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Episode Transcript

[00:00:01] Speaker A: Montalk, der Podcast zum Mitreden. Herzlich willkommen zum Montalk, dem Podcast der Arbeiterkammer Niederösterreich. Dies ist Folge 102 mit Dr. Florian Wenninger. Unser Thema heißt, wie die Arbeiterkammer zu den Arbeitnehmerinnen kam. Sie werden sich möglicherweise zumindest die Treuen unter Ihnen erinnern, dass wir im letzten Podcast mit dem wunderbaren Herrn Madrataner gesprochen haben über die allgemeine Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung. Sehr spannend übrigens. Vielen herzlichen Dank für die vielen, vielen wunderbaren Reaktionen auf diesen Podcast. Ich war ganz stolz, ehrlich gesagt. Ich hatte ein wenig Angst, ob er zu überkandidelt war, vielleicht sogar, Gott behüte, zu intellektuell. Dem scheint aber nicht so gewesen zu sein. Danke für die Reaktionen. Worum geht es uns heute? Eine Interessenvertretung für Arbeitnehmerinnen war einer der ersten Forderungen der Arbeiterbewegung. Das haben wir gehört. Wie die Arbeiterkammer ein Teil der demokratischen Republik wurde, was damit die sogenannten Ziegelbären. Ich glaube, ich hoffe, dass ich das jetzt richtig ausspreche. Zirkelbärm. Gut, zu tun haben. Und wie die Arbeiterkammer nach dem Austrofaschismus und der NS-Diktatur wiedererrichtet wurde, weiß Dr. Florian Wenninger. Er ist nämlich Leiter des Instituts für Historische Sozialforschung. Hallo, Herr Wenninger. [00:01:46] Speaker B: Guten Tag. Vielen Dank, dass ich dabei sein darf. [00:01:48] Speaker A: Und danke für Ihre Zeit. Ich habe erfahren, Sie machen diesen Podcast sogar aus dem Homeoffice. Sie geben Ihre private Zeit. Es scheint Ihnen wichtig. zu sein. Was ist Ihnen persönlich eigentlich wichtig an der Arbeiterkammer, an dem, was sie leistet? Warum sind Sie dort? Sie könnten ja jeden Job, nehme ich mal an, als Wissenschaftler innehaben. [00:02:21] Speaker B: Also da muss ich zur Situation der Wissenschaft in Österreich sagen, das ist leider nicht so. Aber ich war vorher an der Uni und was die Arbeit in der Arbeiterkammer ein bisschen unterscheidet von der an der Uni ist, dass sie enger im Kontakt ist mit der Gesellschaft. Und das hat mich daran interessiert. Ich wollte eine Wissenschaft betreiben, die nicht sich selbst genügt, sondern die in einem Dialog ist mit den Menschen da draußen sozusagen. Und besonders interessiert hat mich aus unterschiedlichen Gründen, mein Schwerpunkt liegt im 19. und 20. Jahrhundert, die Geschichte der Arbeiterbewegung als der Kraft, einerseits die Demokratisierung vorantreibt und andererseits in einem scharfen Gegensatz zu autoritären Strukturen. [00:03:09] Speaker A: Okay, gut. Glauben Sie eigentlich, dass der Abstand, den so manche Institutionen, vielleicht sogar die Politik generell zu haben scheint, zu den Menschen, zu den arbeitenden Menschen, eines unserer Grundübel ist? Warum Menschen so unzufrieden, ja auch so wütend mitunter sind? [00:03:33] Speaker B: Das ist ganz sicher so. Ich glaube, dass dazu zwei Kernpunkte beitragen. Das eine Problem ist, dass wir seit über 30 Jahren eine Stagnation bei den Löhnen haben. Also die Reallöhne wachsen nicht mehr und gleichzeitig wird immer klarer, dass sich so etwas wie gesicherte Laufbahnen zunehmend weniger ausgehen. Das heißt, die Menschen bekommen den Eindruck, es schon schwerer zu haben als ihre Eltern und leben in Sorge, um die Zukunft ihrer Kinder. Dazu trägt auch bei, dass ja nicht nur der Arbeitsmarkt prekär ist, sondern in vielen Fällen prekär ist, sondern auch das Thema Klima, das meine Kinder stark umtreibt, zunehmend besorgniserregendere Ausmaße annimmt. Also ich glaube, da tragen ein ganzes Set von unsichereren Zukunftsperspektiven trägt bei, Unzufriedenheit. Und das Zweite, was zur Unzufriedenheit beiträgt, ist, dass Menschen das Gefühl haben, selbst nicht gesehen zu werden mit ihren Anliegen und mit ihren Fragen. Das an einem ganz konkreten Beispiel aus meiner Arbeit festzumachen. Ich habe gestern mich durch einen Bestand von alten AK-Belangssendungen, das gab es früher im ORF. [00:05:01] Speaker A: Ja, ich erinnere mich. [00:05:03] Speaker B: Von alten AKH-Belangshändlern durchgekriegt. Und dort werden Menschen an ihrem Arbeitsplatz besucht. Da wird mit Lehrlingen geredet über, na, wie geht's dir denn, was sind denn die Sorgen? Und dann stellt sich heraus, eine ganz große Sorge ist, dass die Lehrlinge im Unterschied zu den Schülern und Studierenden für die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel bezahlen müssen. Und die haben keine üppigen Löhne natürlich. Und da geht ein ganzer Monatslohn im Jahr auf für den öffentlichen Verkehr. Und das erzählen nicht irgendwelche Experten über die Lehrlinge, das ist das Besondere an diesem Format, sondern die Lehrlinge kommen selbst zu Wort und reden in einer Sprache wie normale Menschen da draußen darüber, was sie bewegt. Wie das ist, dass man als Einziger in den Bus einsteigt, in einer dreckigen Kluft und dann auch noch der ist, der zahlen muss und sich vorkommt wie der letzte Depp. Diese Repräsentanz der eigenen Anliegen in der eigenen Sprache, dieser Gedanke kam mir erst, als ich mir diese Clips angeschaut habe und mir gedacht habe, was unterscheidet die eigentlich von heutigen Formaten dieser Art, ist, dass damals Menschen für sich selbst gesprochen haben und heute sprechen andere für sie. Jetzt ist es oft wichtig, dass andere für mich sprechen, weil ich mich mir auszugehen in sozialrechtlichen Fragen, weil ich nicht gut auskenne. Aber in bestimmten Themenbereichen kann ich für mich reden und dann möchte ich auch für mich reden. Ich glaube, dass das auch ein wesentlicher Aspekt ist. [00:06:46] Speaker A: Vielleicht sollten wir das aufnehmen und wieder einführen, nicht? Ja. Unter dem Titel, sag, was dir am Herzen liegt oder sowas. Danke, super. Gleich mal ein ganz wertvoller Tipp. Bleiben wir bei den Menschen draußen, hören wir uns mal, Herr Dr. Weninger, die Faktenbox an, wo es um unser Thema allgemein geht. [00:07:16] Speaker C: In Österreich manifestiert sich die Arbeiterinnenbewegung im Revolutionsjahr 1848. Von 1890 bis 1910 wuchs die Fabrikenzahl in den Außenbezirken Wiens um 133 Prozent. Der Aufschwung der industriellen Produktion rund um den Beginn des 20. Jahrhunderts war nur durch Zuwanderung von Arbeitskräften aus allen Teilen der Monarchie möglich. Jene ArbeiterInnen aus Böhmen und Meern, die als ZiegelschlägerInnen in den Mienerberger Ziegelwerken tätig waren, wurden als Ziegelbehm bezeichnet. Das Schicksal der Ziegelbehm war prägend für den weiteren Verlauf der ArbeiterInnenbewegung. Eine der ersten Forderungen der ArbeiterInnenbewegung war jene nach einer Arbeiterkammer. Seit 1948 gibt es die AK Niederösterreich als eigenständige Arbeiterkammer. Die AK Niederösterreich vertritt zur Zeit rund 500.000 Mitglieder. Quellen, AK Niederösterreich und schwere Zeiten aus dem Leben einer Ziegearbeiterin von Marie Tod sowie geschichte-wiki.wien.gv.at. [00:08:23] Speaker A: Herr Dr. Weninger, Die Ziegelbehmen waren Vorläufer der, wie würde man das heute nennen, die unterste Kaste eigentlich, wenn man so will, oder? Die wirklich und wahrhaftig übersehenen, überhörten, quasi nur noch ausgebeuteten Menschen, die importiert wurden. Gibt es das heute noch? [00:08:56] Speaker B: Gibt es Wirtschaftsmigration? Ja, selbstverständlich gibt es die. Damals wie heute wäre unsere Gesellschaft gar nicht denkbar ohne diese Menschen, die schwere Arbeit für wenig Geld machen. Und ich glaube, das ist auch etwas, was die Arbeiterbewegung von Beginn an auszeichnet, dass sie dort, wo sie kann, ein größtmögliches Maß an Mitbestimmung ermöglicht. dass diesen Menschen zugutekommt, die auf staatlicher Ebene als Ausländer gelten und keinerlei Einflussmöglichkeiten haben, mitzubestimmen, was mir auch mit ihrem Steuergeld passiert. Auf Ebene der Arbeiterkammer interessiert nicht, was für einen Pass jemand hat, sondern auf Ebene der Arbeiterkammer interessiert, wie jemand seinen Lebensunterhalt verdient. Und wenn er das als unbeschäftigt, unselbstständig Erwerbstätiger, Erwerbstätige tut, dann ist er oder sie automatisch mitspracheberechtigt. Ich denke, das ist ein Anlass auf Geschichte der Arbeiterbewegung im außergewöhnlichen Maße stolz zu sein. Das trifft übrigens nicht nur auf die genannten Ziegelböhm und andere Wanderarbeiter zu. Viele dieser Ziegelarbeiter kamen beispielsweise auch aus Italien, sondern das trifft auch auf das Frauenwahlrecht zu, das maßgeblich von der Arbeiterbewegung durchgesetzt wird, obwohl sie weiß zunächst, dass die meisten der Menschen dieser Wahl berechtigt werden. Sie nicht wählen werden, sondern konservativ wählen werden. Aber es ging ums Prinzip, um das Anrecht darauf mitbestimmen zu können, um eine Gesellschaft, in der Menschen gleichberechtigt zusammenleben sollen. [00:10:47] Speaker A: Also, habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Dass Sie uns jetzt erzählt haben, dass damals, und wir reden ja vom ausgehenden 19. Jahrhundert, nicht? Dass ... Damals jene politischen Kräfte, die, ich versuche mich vorsichtig auszudrücken, die andere Seite, um nicht zu sagen den Klassenfeind, um nochmal einen antiquierten Ausdruck zu bemühen, verstanden haben und die eigene Ideologie hinter das Gemeinwohl gestellt haben. War das so? [00:11:35] Speaker B: Die Frage ist, was ist das Gemeinwohl, weil die Leute auf der anderen Seite ja so etwas wie eine Republikanisierung und eine Demokratisierung per se nicht wollten. Geschweige denn eine Mitsprachemöglichkeit für Arme, die damals über 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, oder Frauen, die mehr als 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen. [00:12:02] Speaker A: Warum haben die dann mit Ja gestimmt? [00:12:05] Speaker B: Ich glaube, dass die Menschen, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die in Summe die Arbeiterbewegung nun einmal ausgemacht haben, in ihrem Verlangen nach Demokratisierung ihre Überzeugung, ihre Überzeugung, dass es eine Gesellschaft von gleichberechtigten Menschen braucht, die einander auf Augenhöhe begegnen, dass sie diese Überzeugung gestellt haben über das unmittelbare Parteiinteresse. Das unmittelbare Parteiinteresse wäre Stimmenmaximierung bei den nächsten Wahlen gewesen. Diese Stimmenmaximierung war nicht möglich, wenn man Frauen gleichberechtigt mitwählen ließ und trotzdem hat man das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Die andere Seite wollte weder eine Demokratisierung noch eine Republikanisierung, weil sie eine andere Rechnung aufgemacht hat. Sie hat die Rechnung aufgemacht, je mehr Habenichtse mitreden können, desto problematischer, weil die Habenichtse ihr Stimmrecht nutzen werden eventuell, um eigene soziale Interessen zu befördern. Das ist ja auch passiert. [00:13:26] Speaker A: Erstaunlich eigentlich, wie reflektiert die Politikerinnen damals ans Werk gegangen sind, wenn man das mit der grobschlechtigen Denkart von heute mancher ihrer Vertreterinnen vergleicht. Aber das ist nur so etwas. Ich sage, um herauszufinden, wo die Menschen heute stehen, gerade was die Vertretung ihrer Interessen angeht, haben wir natürlich auch unsere mittlerweile berühmt-berüchtigte Straßenumfrage gemacht. Und die spiele ich Ihnen jetzt mal vor. Was wissen Sie denn über die Arbeiterkammer? [00:14:08] Speaker D: Ja, nicht viel eigentlich. [00:14:11] Speaker B: Nichts. Aber ich weiß nicht, für welche Gewerkschaft ist die Arbeiterkammer. Aber mich betrifft es nicht. [00:14:16] Speaker A: Ich habe sie noch nicht gehabt. [00:14:17] Speaker D: Weiß ich nicht, genau nicht. Ich bin nichts von Österreich. Arbeiterkammer ist für die Angestellten zuständig. Ob es jetzt Arbeitsrecht ist oder Urlaubsarbeitsrecht, wie auch immer. [00:14:33] Speaker B: Naja, dass es für die Arbeitnehmer ist. Wenn man Probleme hat, kann man hingehen. Gut, das weißt du. Ziemlich alles. Dass die gesetzliche Vertretung der Arbeitnehmer ist. Das weiß ich. [00:14:46] Speaker C: Eigentlich sollte er von unserer Seite sein, die Arbeiterkammer. [00:14:50] Speaker E: Ja, eigentlich nicht recht viel. Also die Arbeiterkammer, sie ist eigentlich zur Unterstützung für die Arbeitnehmer da. Aber sonst... Also wenn er Hilfe braucht, geht er zur Arbeiterkammer, das weiß ich. [00:15:00] Speaker A: Zu wem gehört denn die Arbeiterkammer? [00:15:02] Speaker D: Also Arbeiterkammer und Gewerkschaft spielen zusammen. Auf jeden Fall, ja. [00:15:07] Speaker E: Die Arbeiterkammer sollte eigentlich parteilos sein, oder? Die gehört, glaube ich, eher zum Staat, ja. Oder ist mit der Gewerkschaft beieinander. [00:15:18] Speaker B: Zur Gewerkschaft. Oder? [00:15:20] Speaker D: Ich glaube zur Gewerkschaft, oder? [00:15:22] Speaker C: Ich kenne mich nicht aus mit Arbeiterkammer und so. [00:15:25] Speaker D: Gute Frage. Nächste Frage. Ich glaube, unabhängig. [00:15:27] Speaker B: Es gibt ein Bundesarbeiterkammer, ein Plenarbeiterkammer. Es gibt regelmäßig Wahlen. Ich glaube Präsident, Obster, weiß nicht was das andere heißt, Arbeiterkamerad wahrscheinlich wird die Vertretung heißen und das war es somit, was ich über die Organisation weiß. [00:15:45] Speaker A: Wer bestimmt denn, wer in der Arbeiterkammer das Sagen hat? [00:15:49] Speaker D: Grundsätzlich Parlament oder sowas. Das Volk. Da gibt es Wahlen. [00:15:54] Speaker B: Das weiß ich nicht. Das wird gerade gewürzt, glaube ich. [00:15:56] Speaker E: Das weiß ich nicht. [00:15:58] Speaker A: Wissen Sie, dass Arbeiterkammerwahlen sind im April? [00:16:00] Speaker E: Die habe ich schon gehört, ja. Die Werbung habe ich schon gelesen. Das wollen sie auch, die gehen sicher wieder hin. Aber ich glaube, bestimmen kann man bei der Arbeiterkammer jetzt die Zugehörigkeit. [00:16:14] Speaker A: So, das war zum Teil schwerer Tobak. Ein paar Sachen sind mir aufgefallen, dann kommen Sie dran, Herr Dr. Wendinger. Eine Nicht-Österreicherin, hat gesagt, sie glaubt, dass es nur für Österreicher und Österreicherinnen ist, die Arbeiterkammer. Einer hat gesagt, ich habe die Arbeiterkammer nie gehabt. Und ich glaube, er hat gemeint, nie gebraucht. [00:16:47] Speaker B: Nicht? [00:16:48] Speaker A: Haben Sie das auch so empfunden? Die Arbeiterkammer sollte eigentlich auf unserer Seite sein. Was ist Ihnen aufgefallen? [00:17:09] Speaker B: Dass es zumindest eine Person gab, die sehr gut informiert war, um etwas Positives anzubringen. dass viele die Arbeiterkammer mit der Gewerkschaft assoziieren. Diese Assoziation ist ja per se nicht ganz falsch. Allerdings ist die Arbeiterkammer keine Gewerkschaftsorganisation, also nichts, wo die Gewerkschaften allein bestimmen würden, sondern die Arbeiterkammer gehört ihren Mitgliedern. Mitreden können alle, die unselbstständig erwerbstätig sind. in Österreich aufhältig. Also ich glaube, dass die Umfrage durchaus repräsentativ ein Wissensdefizit offenlegt, aber das ist kein Defizit, das den Befragten unangenehm sein müsste, sondern das ist eher etwas, was ich als Arbeiter, Kameramitarbeiter als Auftrag verstehen würde. Da haben wir Arbeit zu leisten. [00:18:11] Speaker A: Ja, ja. Mir erschien aber, dass grundsätzlich alle davon wussten und zum Teil überzeugt sind, dass sich die Arbeiterkammern generell um die arbeitenden Menschen im Land kümmern. Da geht nichts dran vorbei. Das habe ich daraus gelesen. [00:18:29] Speaker B: Das glaube ich auch. Das zeigen ja alle bei allen Wertschätzungen für das Sample dieser Umfrage. Alle großen Samples zeigen ja, dass die Arbeiterkammer im Vertrauensindex stabil seit Jahren unter den Top 3 ist. Das Zutrauen in die Arbeiterkammer ist sehr, sehr hoch. Und ich glaube, das hat damit zu tun, wie umfassend auch die Unterstützungsleistung der Arbeiterkammer ist, jenseits einer eines Arbeitsbereiches, der weniger im allgemeinen Bewusstsein ist, der aber ganz sicher auch eine wichtige Rolle spielt. Und das ist der der Grundlagenarbeit. Also Expertise zur Verfügung zu stellen, um den Gesetzgebungsprozess auf unterschiedlichsten Ebenen im Sinne der arbeitenden Menschen zu beeinflussen. [00:19:22] Speaker A: Ich würde Ihnen gerne jetzt eine Frage stellen. Grundsätzlich, Herr Wenninger, warum sollten wir die AK-Wahlen so wertschätzen wie zum Beispiel unsere Gemeinschaftswerte, unsere Traditionen, unsere Bräuche, ja unsere Kultur im Allgemeinen? Ist das auf einer Ebene zu sehen? [00:19:48] Speaker B: Nein, die Arbeiterkammerwahl ist drüber zu sehen. Wenn ich Ihr Idiom richtig interpretiere, ich höre Sie ja seit Jahren, dann liegt Ihr Geburtsort außerhalb Österreichs. Und vielleicht ist Ihre kulturelle Prägung eine andere in religiöser Hinsicht im Hinblick auf das Milieu, in dem Sie aufgewachsen sind. als beispielsweise das Milieu, aus dem ich komme, wenn ich vom Kärntner Dorf stamme. Also Kultur ist ein relativer Begriff. Letztlich ist Kultur immer vielschichtig und immer bunt. Nationalbunt, aber auch sozialbunt, nach Geschlechtern bunt, wie Sie wollen. Eine einheitliche, gemeinsame Kultur zu beschwören, trübt also immer das Bild ein wenig. Während demokratische Mitbestimmung immer eine ganz glasklare Sache ist. Also wenn wir uns nicht ausreichend repräsentiert fühlen, dann liegt es einerseits natürlich schon auch an unserer Repräsentanz, aber auch andererseits an uns, die wir dieser Repräsentanz nicht beinemachen, indem wir unsere Stimme abgeben. Und ich glaube, dass die Arbeiterkammer im Laufe ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte inzwischen unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte gesetzt hat und dass es an uns liegt, Einfluss auszuüben darauf, welche Schwerpunkte wir dort vertreten sehen wollen. Und deshalb sollten wir in unserem ureigenen Interesse unbedingt an dieser Wahl teilnehmen. [00:21:35] Speaker A: Okay, zur Klärung. Erfahren Sie was über mich? Ich bin ein Bergarbeiterkind, komme aus einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Ruhrgebiet in Pott. In Pott, ja. Großvater ist Untertager, also sein Leben lang. Also ich komme aus einem Arbeitsumfeld. Und bin auch stolz drauf, habe dann halt den Weg der Kunst für mich genommen und bin dann 1975 hierher gekommen, nie geräut. So, schön. [00:22:11] Speaker B: Wenn ich das ganz kurz sagen darf, das zweite Podkind, das den Weg in das österreichische Radio gefunden hat, neben Dirk Stermann. [00:22:19] Speaker A: Ah ja, genau. Der Kollege Stermann ist auch aus dem Ruhegut. Ja, die machen schon gute Jungs und Mädels, natürlich. Also, was mir jetzt aufgefallen ist, ich mag das, dass Sie so selbstkritisch, auch als Vertreter der Arbeiterkammern, hier sind. Und sofort das, was die Leute da draußen authentisch von sich geben als Auftrag. nehmen, besser zu werden. Das ist das Gegenteil von manchen anderen Vertretungen, denen man so gern vorwirft, im eigenen Saft zu schwimmen und sich nicht mehr zu rühren. Also das bestätigt meinen überaus agilen Eindruck der Arbeiterkammern. Immerhin haben wir vor nahezu fünf Jahren angefangen, über Den Podcast zu sprechen mit Präsident Wieser zusammen, wo noch niemand überhaupt gewusst hat, was das ist, und haben das jetzt durchgezogen. Also das heißt, es ist schon auch eine moderne Geschichte der Arbeiterkammern. Waren sie ja nicht immer so, nicht? 26. Februar 1920 hat mir meine überaus agile Redaktion hier aufgeschrieben. Also quasi vier Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs gab es bereits das erste Arbeiterkammerngesetz. Wie ist das entstanden? Wer hat darauf bestanden? Wer hat das initiiert? [00:24:02] Speaker B: Die Arbeiterkammer Idee taucht, wie wir eingangs schon gehört haben, das erste Mal während der letztlich gescheiterten bürgerlichen Revolution 1848 auf. Diese bürgerliche Revolution endet im Großen und Ganzen mit einer Niederlage. Zwei Bevölkerungsgruppen schaffen es aber immerhin, sich einzelne Errungenschaften in die in die nachrevolutionäre Periode hinüberzuretten. Das eine sind natürlich die Bauern. Die Grundentlastung, also die Bauernbefreiung, ist ein ganz wesentlicher Erfolg der Revolution, der allerdings dazu dient, natürlich die Bauernschaft aus der revolutionären Masse herauszubrechen und ans Kaiserhaus zu binden. Das aber nur als Nebenbemerkung. Die zweite Gruppe, der es gelingt, einen Erfolg zu erzielen, zumindest einen partiellen Erfolg, ist das städtische Bürgertum, das Gewerbe und der Handel, denen es gelingt, die Handelskammern zu etablieren, also eine unabhängige Lobbyorganisation, die sich für ihre Interessen stark macht. [00:25:24] Speaker A: Die. [00:25:27] Speaker B: Die Arbeiterkammer orientiert sich ein Stück weit an diesem Vorbild und denkt sich naja, wenn die Gewerbetreibenden und die Unternehmen eine eigene Fürsprachestelle haben, warum sollen wir das nicht haben? Aus dieser Idee wird dann allerdings in den folgenden Jahrzehnten eher wenig und das Thema wird erst während dem Ersten Weltkrieg wieder virulent. Warum während dem Ersten Weltkrieg? weil ab 1917 zunehmend klar wird, dass die Donaumonarchie diesen Krieg jämmerlich verlieren wird und dass der Krieg so fürchterliche Folgen hatte, dass man danach nicht zum Alltagsgeschäft übergehen würde können, also dass es zu einer politischen Umwälzung kommen würde und dass diese politische Umwälzung mehr Mitsprachemöglichkeiten für Arbeiterinnen und Arbeiter bringen würden, die ja damals beispielsweise immer noch nicht auf kommunaler Ebene wählen durften in Wien usw. Und mit diesen Mitsprachemöglichkeiten, die da zu erwarten waren, war aber auch die Frage verbunden, auf welcher Grundlage sollen wir denn politische Projekte in die Wege leiten? haben wir die Expertinnen und Experten, die uns helfen, in bestimmten Bereichen eine Verbesserung für arbeitende Menschen zu erreichen. Heute würde man sagen, naja, hätte jetzt mit der Uni geredet. Damals ist die Uni ein weit rechts stehender, den Arbeitern feindlich gesonnener Apparat in seiner großen Mehrheit. Ähnlich verhielt es sich mit außeruniversitären Einrichtungen, die man eventuell hätte ansprechen können, und natürlich vor allem auch mit den Ministerien. Das heißt, die Situation, in der die Arbeiterkammer-Idee letztlich zum Durchbruch kommt, ist eine, in der sich die Arbeiterbewegung aufmacht, einen Gestaltungsauftrag wahrzunehmen. Und für den braucht sie Expertise, die zuverlässig im Sinne der Beschäftigten vorangetrieben wird. Und diese Expertise, die braucht sozusagen ein Dach und eine Finanzierung. Und das war die Idee hinter der Arbeiterkammer. Die Arbeiterkammer sollte helfen, bei der Besserstellung arbeitender Menschen auf gesetzlicher Ebene, auf sozialrechtlicher Ebene, aber auch auf ganz praktischer Ebene. Wie geht es arbeitenden Menschen eigentlich, war eine nicht unwesentliche Frage, für die sich die Wissenschaft zum damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht interessiert hat. Das wird nun ab 1920 im Dienste der Arbeiterkammer untersucht und auf Basis dieser Untersuchung konkrete Verbesserungsvorschläge gelegt. [00:28:33] Speaker A: Herr Dr. Wenninger, eine Parallele zu heute. Denn es herrscht ja auch jetzt gerade, vor allem im Moment, zum Teil große Verunsicherung in der arbeitenden Bevölkerung wegen einerseits jener Veränderungen, die wir mitbekommen haben, die wir auch verstehen, so wie wir uns ein wenig dafür interessieren, wirtschaftliche Inflation, internationale Märkte bis hin zu Pandemien und so weiter, aber vor allem wird sie geprägt durch Ängste, die wir nicht verstehen, weil wir die Ursache nicht verstehen, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz. Das heißt, können wir hier mit einer, wie würde man das nennen, Renaissance der Motivation, Rechnen, dass es jetzt mal wieder so weit ist, nach hundert Jahren, dass die Arbeiterkammern jetzt so gebraucht werden, um uns allen, vor allem uns selbst, die wir arbeiten, die Arbeit, die Stellung der Arbeit und den Wert der Arbeit in unserer Gesellschaft zu erklären? [00:29:53] Speaker B: Ja, das ist sicher richtig. Und gleichzeitig veranschaulichen ja gerade auch die jüngsten Wahlen, wie wichtig Felder sind, in denen die Arbeiterkammer seit Jahrzehnten über die größte Expertise im Land verfügt. Nehmen Sie nur das Beispiel Wohnen. In den österreichischen Städten explodieren die Wohnkosten. Die Arbeiterkammer trommelt seit Jahren, dass man dagegen steuern müsse. zumindest in den Städten, wo die Regierenden geglaubt haben, diesen Ratschlag können sie ignorieren, kommt es jetzt zu ziemlich eindrücklichen Kräfteverschiebungen. Ich glaube, dass die Arbeiterkammer ganz, ganz wichtig ist, gerade in einer Situation, in der es zu Verschiebungen kommt, die eben von anderen Wissensapparaten so nicht untersucht werden. Denkfabriken, die sich für Unternehmerinteressen einsetzen, die alles aus Unternehmerperspektive erklären. Ich glaube, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass auch die große Mehrheit der Beschäftigten eine Institution hat, die sich in. [00:31:11] Speaker A: Ihrem Sinne Gedanken Ja, und das hat sie mit den Arbeiterkammern ja in jedem Fall. Sagen Sie mal, gehen wir doch mal zurück zu Februar 1920. Welche Institution war denn damals von jenen gemeint, die sich dafür eingesetzt haben. Was war geplant mit der Arbeiterkammer? Hieß das schon so? Gab es keine anderen Formen der Selbstverwaltung bis zu diesem Datum? Möglichkeiten zur Wahl? Welche Aufgaben hatte denn die Ursprungs-AK? [00:31:55] Speaker B: Die Ursprungs-Arbeiterkammer war gedacht, als ein, wenn Sie so möchten, ein Think Tank der Arbeiterklasse. Also die Arbeiterklasse macht sich erstmals auf, um Anteil zu nehmen an den Staatsgeschäften und braucht Experten und Expertinnen, die ihr dabei zu Diensten sind. Und diese Expertinnen und Experten sollten in den neu gegründeten Arbeiterkammern eine Beschriftigung finden. und einen institutionellen Rahmen. Das war übrigens kein österreichisches Alleinstellungsmerkmal ursprünglich. In weiten Teilen Deutschlands, aber etwa auch in Luxemburg, sind ganz ähnliche Einrichtungen entstanden, die dort von der konservativen Flut ab Anfang der 1920er-Jahre aber großteils wieder weggespült worden sind. Überdauert haben sie nur in ganz einzelnen kleinen Landstrichen wie Bremen oder dem Saarland oder eben in Luxemburg, während die Arbeiterkammern in Hamburg beispielsweise dem Vergessen anheimgefallen sind. Also die Arbeiterkammer hat den Auftrag, im Sinne der Beschäftigten, gesellschaftliche Zustände zu erforschen und auf Basis dieser Erforschung Verbesserungsvorschläge anzubringen. Die Arbeiterkammer untersucht in diesen Jahren beispielsweise, wie geht es Arbeitslosen? Was ändert sich eigentlich im Leben eines Menschen, wenn er arbeitslos wird? Was ändert sich in Gesellschaften, in der große Teile arbeitslos sind? Das ist eine Studie, die Weltgeltung erlangen wird. Die Arbeitslosen von Marienthal. Die Arbeiterkammer untersucht die Situation von Frauen. Wie geht es Frauen mit der Mehrfachbelastung von Reproduktionsarbeit im Haushalt über Dazuverdienten, über die Sorge um nicht mehr erwerbstätige alte Familienmitglieder, aber auch um die Kinder natürlich. Wie geht es Frauen auch gegenüber den Männern, die damals ja immer noch die Haushaltsvorstände unter Anführungszeichen sind, also der Frau gegenüber weisungsberechtigt in vielen Lebensbereichen. Alles das hat außerhalb der Arbeiterkammer niemanden interessiert, obwohl es ganz fraglos den Großteil der Bevölkerung in seinen elementaren Interessen betroffen hat. [00:34:45] Speaker A: Waren nicht auch die Ziegelböhmen, glaube ich, wird das so genannt, größtenteils Frauen, die damals diese furchtbar schwere Arbeit geleistet haben? [00:35:02] Speaker B: Ich muss lügen, wenn ich sagen würde, ich würde wissen, wie beispielsweise das Geschlechterverhältnis in der Belegschaft der Firma Wiener Berger war. Austeil der Ziegel hergestellt hat, mit denen in Wien gebaut wurde. Ganz sicher ist, dass die Ziegelböhmen, aber auch die Saisonarbeiter aus Italien und Slowenien im Familienverbund gekommen sind. Also da haben nicht nur die Männer gearbeitet, sondern da hat die ganze Familie schwer robotet, einschließlich der Frauen und Kinder. Das geht ja hinunter übrigens bis zu den vier Fünfjährigen, die die berühmt, berüchtigte Arbeit des Sandlns machen müssen. Also die am unterster Ebene der Ziegelproduktion stehen, weil sie die Ziegelformen mit Sand sozusagen ausstreuen müssen, damit der Lehm, der Feuchte aus dieser Model auch wieder herauszubringen ist, bevor er gebrannt wird. [00:36:04] Speaker A: Ich weiß, Sie sind kein Sprachwissenschaftler, aber kommt da der Begriff Sandler her? [00:36:09] Speaker B: Ja genau. Wirklich wahr? Ja, weil das die allerelendsten, selbst unter den elenden Ziegelböhmen waren. [00:36:17] Speaker A: Wahnsinn. [00:36:17] Speaker B: Also unter den elenden Ziegelarbeitern. Man muss sich vorstellen, diese Ziegelarbeit war ja insgesamt schon übel genug, wenn man da bis zum Bauchnabel im kalten Wasser steht und diesen Schlamm da herausholt. Aber selbst unter denen waren die Allerschlechtestbezahlten, die diese Modeln aussenden mussten. [00:36:38] Speaker A: Victor Adler hat da ja durchgegriffen. Der hat quasi den Mut gehabt, das zu veröffentlichen und zu einem Politikum zu machen. Erzählen Sie uns ganz kurz, was ging da ab? [00:36:59] Speaker B: Die Arbeiterbewegung in Österreich entsteht ja eigentlich schon seit den 1870er-Jahren und sie unternimmt mehrere Anläufe, unterschiedlichste Gruppen und Grüppchen zusammenzufassen. Das funktioniert nicht, weil die Leute einander nicht vertrauen, weil es keine Integrationsfigur gibt. Und eine solche Integrationsfigur, eine, deren moralische Autorität von allen, unabhängig ihrer sonstigen Zwistigkeiten, anerkannt wird, ist ein jüdischer Arzt aus dem 9. Bezirk, der genannte Viktor Adler. Der Viktor Adler hätte ein Leben im Wohlstand führen können. Er kommt aus wohlgestaltem Haus. Er hat einen einträglichen Beruf. Er hat eine schöne Wohnumgebung. Er hätte sich in die Hängematte legen können. Stattdessen erlebt er völlig schockiert bei einem Besuch bei den Ziegelarbeitern am Wienerberg, wie fürchterlich die dortigen Lebensverhältnisse sind, die Sanitärverhältnisse, die allen Beschreibungen spotten. Und er setzt all sein Erbe ein, um diesen Menschen beizustehen. Und das haben sie ihm nie vergessen. Das begründet seine moralische Autorität bis zu seinem Tod 1918, zwei Tage vor Ausrufung dessen, was er sich sein Leben lang gewünscht hat, nämlich der demokratischen Republik. [00:38:27] Speaker A: Ja, Wahnsinn. Also, es ist, und das habe ich auch schon gelernt bei meinem Gespräch mit Dr. Professor Mardertaner im letzten Podcast, ja dann doch immer auch eine Sache der Individuen. Eine, eine fängt immer an. Und wenn ich jetzt... Ist das nicht so? [00:38:56] Speaker B: Nein, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, weil gerade wir Historiker der Arbeiterbewegung haben immer gesagt, es ist wichtig, auf das große Ganze zu schauen. Es ist wichtig, Strukturgeschichte zu verstehen, wenn wir Gesellschaft verstehen wollen. Und was wir dabei ein bisschen übersehen haben, ist, was für einen enormen Unterschied der oder die Einzelne machen kann. Es ist schon so, Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann weit entfernt einen Organ auslösen. [00:39:25] Speaker A: Ja, ja, absolut. Das heißt, wir erwarten ja nicht, oder sagen wir mal Sie, die Arbeiterkammern, erwarten ja nicht, dass jetzt lauter Viktor und Viktorias Adler ausströmen, um die modernen Ziegelböhmen zu dekouvrieren und auszustellen und zum Anlass für Veränderungen zu machen. Das wird ja gemacht, institutionalisiert, durch die Arbeitnehmervertreterinnen. Die sorgen einfach vor Ort dafür und gehen mit offenen Augen und Herzen durch ihre Betriebe. Die vielen, vielen Wahlberechtigten, sollten die sich nicht auch als junge Adler, wenn man das mal jetzt so nimmt, fühlen und sagen, das ist jetzt das Mindeste und gleichsam das Wertvollste, was ich tun kann, um auch prekäre Lebensumstände und Arbeitsumstände von heute proaktiv zu bekämpfen? Lieg ich da richtig? [00:40:37] Speaker B: Da liegen Sie auf jeden Fall richtig. Ich glaube allerdings, dass es wichtig ist, noch darauf hinzuweisen, dass von dieser ursprünglichen Think-Tank-Funktion der Arbeiterkammer sich ein weiterer Weg gezogen hat, in dem sich das Arbeitsprofil der AK noch nachhaltig erweitert hat, um kulturelle und wissenschaftliche Anliegen der arbeitenden Menschen und schließlich auch um konkrete Beratungsleistungen Wir hatten vor zwei Wochen Freunde hier aus den USA, die konnten überhaupt nicht glauben, dass jeder Mann und jede Frau, der als Mieter beispielsweise ein Problem mit seinem Vermieter hat, Rechtsauskunft eilenholen kann, ohne hunderte Dollar einem Anwalt in den Rachen zu werfen. Dass Menschen, die von ihren Arbeitgebern um ihnen zustehende Lohnanteile gebracht werden, nicht in langen Arbeitsprozessen auf sich allein gestellt sind, sondern eine starke Institution im Rücken haben, die einem hier konkret weiterhilft, nicht nur durch Ratschläge, sondern auch durch die Übernahme von Prozessrisiken, durch die Beistellung von Juristen etc. Also ich glaube, zur Arbeiterkammerwahl sollte man schon allein dann gehen, wenn man eines dieser Tätigkeitsfelder stärken möchte, indem man die Fraktionen innerhalb der Arbeiterkammer stärkt, die diese Tätigkeitsfelder in den Vordergrund. [00:42:26] Speaker A: Und mittlerweile wurde ja auch sozusagen das Aufgabengebiet der Arbeiterkammern enorm erweitert, wie Sie das eben schon erwähnt haben, in Richtung Kinder, die a priori ja schon längst, Gott sei Dank, nicht mehr arbeiten müssen. Auch ein Sieg der Arbeiterinnenbewegung. Aber es gibt die Kinderkultureinrichtungen, die Kinderschwimmunterricht. Das weiß ich. Präsident Wieser kümmert sich besonders leidenschaftlich darum als Privatmensch. Ich bin auch immer wieder gern Zeuge der Digi-Weeks, wo Kinder spielerisch an das neue Medium Computer, Internet, Social Media herangeführt werden bis hin zur Betreuung von Pensionistinnen und Pensionisten. Das heißt, die Arbeiterkammer ist eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, so kommt es mir vor. Und auch was jetzt neue demografische Entwicklungen betrifft, dass es eben doch immer mehr Scheidungen gibt und somit alleinerziehende Eltern, in den allermeisten Fällen alleinerziehende Frauen, die auch zum Thema der Arbeiterkammern gemacht werden. Also meine Frage an Sie, zurückgehend auf die historische Darstellung, was Sie da jetzt auch aus der Neuzeit erzählt haben, ist doch eigentlich das, was wir allgemein kennen als soziale Marktwirtschaft. Dieses Modell, um das wir ja in der ganzen Welt beneidet werden. die noch und funktioniert sie noch, Herr Dr. Wenninger? [00:44:28] Speaker B: Ich glaube, das, was wir als soziale Marktwirtschaft bezeichnen, ist in Wirklichkeit eine Marktwirtschaft, der wir erfolgreich Fesseln angelegt haben, um sie von bestimmten Dingen abzuhalten. beispielsweise davon, Dinge, die wir elementar zum Leben brauchen, ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der Profitmaximierung auszunützen. Sei das jetzt das Thema Wasser, Privatisierung von Wasser, sei das das Thema Wohnen, sei das aber auch, dass Arbeits- und Lohnverhältnisse herbeigeführt werden, die an Dieter Ziegelböhm gemahnen. Es gibt ja auch noch eine Kehrseite dieser Ziegelböhm-Geschichte und diese Kehrseite besteht aus den Fabrikantenwillen, die reich geworden sind damit, dass sich für sie Menschen abrackern für wenig bis kein Geld. Oft zu Tode. Oft zu Tode, ja, buchstäblich. Ich glaube also, dass die soziale Marktwirtschaft eine gebändigte Marktwirtschaft ist. Und ich glaube, dass jede Marktwirtschaft dazu tendiert, gegen diese Bändigung anzukämpfen. Also es ist ein stetes Ringen miteinander um zivilisatorische Normen. Und wenn wir in diesem Ringen nachlassen, dann bezahlen wir umgehend die Rechnung in Form von sozialen Verschlechterungen für die Mehrheit der Beschäftigten. [00:46:12] Speaker A: Ja, es ist ja gar nicht so lange her, da haben wir diesen berühmten 12. Februar gefeiert, den Gedenktag zu den Ereignissen des Jahres 1934. Was ist denn damals eigentlich passiert und was ist den Arbeiterkammern in den Jahren des Ständestaates denn passiert? Wie ist es denen ergangen? [00:46:41] Speaker B: Die Erste Republik nur 15 Jahre lang. Das ist ja wirklich eine vergleichsweise kurze Zeitspanne überhaupt in unserer Altersgehörde. Ich weiß noch ganz gut, was ich vor 15 Jahren gemacht habe. Das ist nicht ewig weit weg. Die Republik hält nur 15 Jahre, weil im Zuge einer Weltwirtschaftskrise sich die Verteilungskämpfe verstärken. Wie bei jeder Weltwirtschaftskrise stellt sich die Frage, wer zahlt am Ende? Sind es die Beschäftigten, die arbeitslos werden und keinerlei staatliche Unterstützung mehr erhalten? Oder sind es die Wohlhabenden im Lande, die durch Sondersteuern zur Kasse gebeten werden? Und rund um die Frage, wer soll zahlen, grubiert sich dann immer auch ein demokratisches Dilemma für die Wohlhabenden. dass sie nämlich eine kleine Minderheit der Bevölkerung sind, die, wenn sie sich durchsetzen in so einer Verteilungsauseinandersetzung, nicht damit rechnen können, dass sich die große Mehrheit bei den nächsten Wahlen auf ihre Seite schlagen wird. Deshalb beschließen die Wohlhabenden sicherheitshalber die nächsten Wahlen nicht stattfinden zu lassen und stattdessen eine Diktatur zu errichten. Das tun sie nicht nur in Österreich, das tun sie etwa auch in Deutschland, im Baltikum, in Ungarn, in Portugal, in Spanien. Also das ist eine europäische Tendenz, würde ich sagen. Und der Februar 34 sieht sozusagen einen letzten Moment der Gegenwehr gegen die Errichtung einer Diktatur in Österreich. Mit der siegreichen Durchsetzung der Diktatur geht einher, dass man nicht nur die Arbeiterbewegung zerschlägt, die Sozialdemokratie verbietet, die Gewerkschaften auflöst, sondern dass man auch die Institution der Arbeiterbewegung, die Arbeiterkammern, zwar nicht auflöst, aber doch ihrerseits an die Kette legt und ihnen sagt, ihr habt ab sofort keinen Auftrag mehr, Interessen von Beschäftigten zu artikulieren, die sich gegen Unternehmerinteressen richten, sondern ihr sollt euch jetzt mehr konzentrieren auf Bildungs- und Kulturaufgaben. Entproletarisierung des Proletariats voranzutreiben. Das ist eine alte Geschichte, dass Wohlhabende die Ursache von Armut primär in den Armen sehen und nicht im eigenen Wohlstand. Die Arbeiterkammer existiert quasi als Think Tank der Beschäftigten in den nächsten vier Jahren nicht mehr, bevor sie 1938 mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus in Österreich endgültig zerschlagen wird. [00:49:52] Speaker A: Also das heißt, diese Täter-Opfer-Umkehr zwischen Machthabenden und Unterdrückten ist ein Weg, der fast schon instinktiv gegangen wird. Auch jetzt habe ich so den Eindruck. Wenn man sagt, man gibt sich vielleicht ein wenig mehr Mühe, das zu kufrieren, das anders auszudrücken, dass die Leute doch selbst schuld sind dran. Und indem man sagt, es gibt keine Armut, das ist so eine Geschichte, und das dann begründet, Weil es auch keinen Hunger gibt. So ein Big Mac kostet ja nur ein bisschen was. Insofern brauchen wir auch keinen Klassenkampf mehr. Wehret den Anfängern, seid aufmerksam. Wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs. Wir wissen also eine lange, lange Tradition. Deshalb ist es wichtig, um diese Tradition, um diese Werte Um diese, ja ich würde es mal sagen, fast Bräuche auch zu kämpfen. Ich bestehe so darauf, weil ich so fasziniert bin. Gerade von Niederösterreich. Wie unglaublich konsequent und nicht mehr hinterfragend Menschen ihre Traditionen leben. Wenn wir mal von der freiwilligen Arbeit ausgehen, von der ehrenamtlichen Arbeit, von den vielen, vielen Menschen, die jeden Tag in der Gesangsgruppe, in der Blasmusik üben und proben, für nix. Also machen sie, weil es ihnen gut tut. Und ich hätte gerne, dass wir uns alle daran erinnern, wenn wir jetzt aufgefordert werden, auch für die Arbeiterkammern in die Wahlen zu gehen, weil uns das gut tut. Das ist ein gutes Gefühl nach der Wahl. direkt die Minute danach. Man geht aufrecht, man sagt, ich habe meine Schuld an diesem Land und so weiter. Ich bin da entgegengekommen als aufrechter, mündiger Bürgerbürgerin. Ist das auch ... Wie kommt das bei Ihnen an als Wissenschaftler? Oder ist das zu banal? [00:52:26] Speaker B: Ich glaube, es spricht überhaupt nichts dagegen, Altenfalls ergänzen wollen, dass ich doch meine, dass es nicht nur eine Tradition ist, es ist vor allem auch ein demokratisches Recht. Es ist ein Recht für das, Sie haben den Februar 34 angesprochen, für das Leute ihr Leben gelassen haben, deren Erbe wir auch dankbar annehmen, überall dort, wo es uns begegnet. Und dass wir weiterführen sollten. Also es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, nicht nur denen, die gelitten haben, dafür das durchzusetzen, gegenüber, sondern auch uns selbst gegenüber. Es ist in unserem ureigensten Interesse, unser Wahlrecht wahrzunehmen. [00:53:15] Speaker A: Und zum Thema Zukunft abschließend. Richtig. Wir wissen im Moment nicht, was die große Transition, der große Übergang in die Digitalität und da vor allem in die künstliche Intelligenz bedeuten wird für uns alle. Aber wir können davon ausgehen, dass die Arbeiterkammern da ganz nah dran sind. Deswegen hat man ja so kluge Köpfe wie Sie auch eingestellt, um das zumindest zu beobachten und dann gemeinsam Schritte zu besprechen, wie wir als arbeitende Menschen damit umgehen. Und wenn das wegfiele, wäre wieder jede und jede auf sich selbst gestellt, in diesem Wirrwarr der Angebote und gleichzeitig auch der neuen Gefahren selbst zurechtzukommen. Und ich glaube, es ist immer noch besser, es gemeinsam zu machen. Oder solidarisch. [00:54:18] Speaker B: Auf jeden Fall. Es gibt Menschen, die spielen in einer Liga, in der man keine Solidarität braucht, weil man selbst derartige Massen an Geld und an Macht in die Waagschale werfen kann. Aber all die sogenannten Kleinen, die in Wirklichkeit Kleingemachte sind, Tag für Tag, die haben nur einen großen Vorteil auf ihrer Seite und das ist die große Zahl. Somos Muchos. [00:54:47] Speaker A: Ja, genau. Und ich sage Gratias Muchos. Das war mein Gespräch mit Dr. Florian Wenninger. Er ist Leiter des Instituts für historische Sozialforschung, wie wir jetzt auch wunderbar feststellen konnten. Danke für Ihre Zeit, danke für Ihre Arbeit. Bleiben Sie uns gewogen, wenn wir Sie mal wieder brauchen und wollen, dass wir wieder Ihnen eine Stunde Ihrer wertvollen Zeit stehlen können. Und alles erdenklich Gute. Herr Dr. Wenning. [00:55:21] Speaker B: Vielen herzlichen Dank. Danke sehr gerne. Ciao, ciao. Wiederhören. [00:55:26] Speaker A: Die Arbeiterkammer Niederösterreich hat eine neue App. Die AK Blitz App. Ab sofort zum Downloaden. Bleiben Sie am Laufenden, erhalten Sie alle relevanten Informationen. Und Sie wissen ja, noch nie war es so wertvoll zu wissen, wo man seine Informationen her hat. Die AK Blitz App. Ab sofort zum Downloaden. Das war der Montag. Chefredaktion Susanne Karner, Redaktion Mario Gattinger und Carina Carras, Straßenumfragen Christoph Baumgarten, Faktenbox Bettina Schapschneider, Technische Leitung Stefan Dangl, Administration Christina Winkler, am Mikrofon Alexander Göbel.

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