#101 MADERTHANER: Wie die Arbeiter zur Bewegung wurden

March 04, 2024 01:02:06
#101 MADERTHANER: Wie die Arbeiter zur Bewegung wurden
MONTALK - Der Podcast zum Mitreden
#101 MADERTHANER: Wie die Arbeiter zur Bewegung wurden

Mar 04 2024 | 01:02:06

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Show Notes

Die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung prägt seit über 170 Jahren Gesellschaft und Politik in Österreich. Wie sich die Rolle der Arbeitnehmer:innen in dieser Zeit geändert hat und warum es zur Gründung der Arbeiterkammern kam, erklärt Univ. Prof. Dr. Wolfgang Maderthaner.

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Episode Transcript

[00:00:01] Speaker A: Montalk, der Podcast zum Mitreden. Herzlich willkommen, dies ist der Montalk, die Nummer 101. Eigentlich, wenn ich ehrlich bin, ist das für mich die hundertste Ausgabe, aber bei der veritablen hunderte Ausgabe waren wir halt ein wenig sentimental und haben uns Ursula Eisen eingeladen, die, die Nummer 1 war, der erste Gast in unserer Serie, falls sie es verpasst haben, ist ein sehr, sehr cooler Podcast geworden über alles mögliche. Also, dies ist meine geliebte 100er jetzt, eigentlich 101. Und wir sprechen über die Arbeiterinnenbewegung, Mir fällt das noch relativ schwer, Arbeiterinnenbewegung zu sagen. Nicht, weil ich des Genderns müde bin, ganz im Gegenteil, sondern weil ich es fast ein wenig arrogant finde, dass wir im Zuge dieser sprachlichen Umstellung unser jetzt so tun, als sei es eine Arbeiterinnenbewegung gewesen, wiewohl wir doch in den vergangenen, sagen wir mal, 100 Jahren immer hübsch darauf aufgepasst haben, dass die Arbeiterinnen bei den Revolutionen nicht vorkamen, zumindest bei jenen, die gelungen sind. Mein Gast heute, Universitätsprofessor Dr. Wolfgang Madertaner. Er ist ein Experte. Er ist ein Experte in Geschichte und vor allem in der Geschichte der Arbeiterinnenbewegung. Danke, dass Sie bei mir im Studio sind, Herr Professor. [00:01:52] Speaker B: Danke für die Einladung. [00:01:53] Speaker A: Wie geht es Ihnen mit dem Gender? [00:01:59] Speaker B: Wie soll man sagen, es ist eine nicht schlechte Notwendigkeit geworden. Es geht von dem Prinzip aus, dass man über das Bewusstsein das Sein bestimmen könnte. Das ist natürlich sehr, sehr im Gegensatz zu dem, zur wissenschaftlichen oder auch zur politischen Sozialisierung, wie ich aufgewachsen bin. Damals ist man ausgegangen von das Sein bestimmt. Das Bewusstsein, das hat sich doch sehr wesentlich in sein Gegenteil gekehrt. Ich bin nur dort einigermaßen skeptisch, Wir haben jetzt gerade vor wenigen Tagen den Equal Pay Day gehabt und wenn mich nicht alles täuscht, ist es ungefähr um die Mitte Februar gewesen. Skandal. Ich bin sehr skeptisch, wenn man sozusagen die gesamte politische, die gesamte soziale Energie auf Formales Man wird mir jetzt sagen, dass das Formale eben ein zentrales sei. Ich bin da eine Spur skeptisch. Aber ja, es fehlt uns kein Stein aus der Krone, wenn man die weibliche Form jeweils mitdenkt und mitspricht. [00:03:21] Speaker A: Ja, also beim Thema bleibend haben wir ja doch erfahren, dass Bewegungen, auch Arbeiter, Arbeiterinnenbewegungen und alle gesellschaftlichen Revolutionen der Menschheitsgeschichte ja doch sprachlich sehr deutlich waren. Ich denke, dass Solidarität und Sprache etwas gemein haben, ganz wichtig füreinander sind. Durch Sprache erfahren wir ja erst von der Hoffnung. Also wir ergeben uns so lange in unser Schicksal, bis jemand kommt und sagt, du musst nicht. Wir können uns auch wehren. Nimm deine Missgabel, geh mit. Und daher bin ich jetzt so ein proaktiver Genderist geworden, obwohl es mir manchmal noch so schwerfällt. Also möge die Übung gelingen. So, ich denke, wir hören uns mal zu unserem Thema zuerst die Faktenbox an, um dann auch auf Basis derer unseren kleinen Exkurs zu wagen. Hier ist also die Faktenbox wie immer mit Bettina Schapsschneider. [00:04:34] Speaker C: Als Land der ersten Industrialisierung und damit der ersten Arbeiterinnenbewegung gilt England. Die Revolution des Jahres 1848 markiert den Beginn der ArbeiterInnenbewegung in Österreich. In sogenannten Arbeiterbildungsvereinen begannen die ArbeiterInnen, sich zu organisieren. Im Mai 1868 wurde das erste Manifest an das arbeitende Volk in Österreich verfasst. Der Arzt Viktor Adler machte die Öffentlichkeit 1888 erstmals auf die katastrophale Lage der ZiegelschlägerInnen aufmerksam. 1934 wurden alle ArbeiterInnenorganisationen zerschlagen. In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 wurde der Österreichische Gewerkschaftsbund ÖGB gegründet. Am 20. Juli 1945 erlässt die provisorische Staatsregierung das Gesetz über die Wiedererrichtung der Arbeiterkammern in Österreich. Quellen? Wikipedia, GeschichteWiki.Wien.Gv.at und Habsburger.net. [00:05:40] Speaker A: Dankeschön, Bettina Schapsschneider. Herr Dr. Maratana, Sie sind ein Experte. Da geht nichts dran vorbei. Sie haben sich dieser Bewegung der Arbeiter und Arbeiterinnen versprochen, verschrieben. Sie haben wahrscheinlich alles Wissen, was es darüber geben kann, zumindest über die Dinge, die passiert sind, schon inkorporiert. Warum eigentlich dieses Thema? Ist das eine persönliche Geschichte? Sie sind ja auch 68er, nehme ich mal an. War es das? [00:06:19] Speaker B: Naja, es ist insofern eine persönliche Geschichte, nachdem ich aus einer alteingesessenen Metallarbeiterfamilie komme, aus dem mittleren Ibstal, das waren die Böhlerwerke, ein gesamtes Lebensensemble war hin auf dieses Werk konzentriert, ist ins Werk arbeiten gegangen, man ist im Werk alt geworden, man hat um das Werk herum gewohnt. Es war eine durchaus sehr, sehr lehrreiche Erfahrung. Meine Generation allerdings war plötzlich damit konfrontiert, es wäre möglich, irgendwie mit Unterstützungen, die in einer gewissen Zeit gekommen sind, mit der Gratisschulbuchaktion, mit Stipendien, die plötzlich breiter gestreut waren, es wäre möglich, dass Typen wie ich, ein Studium machen. Und es war in der Tat nicht nur ein Einzelfall. Und ich kann mich noch sehr, sehr genau erinnern, es ist bei mir und in vergleichbaren Fällen die Rede davon gewesen, okay, wir können es probieren. Und wenn es nicht geht, okay, das. [00:07:41] Speaker A: Werk steht immer noch da. [00:07:42] Speaker B: Verstehe. [00:07:44] Speaker A: Okay, aber das heißt, das was wir heute als vermeintliche Selbstverständlichkeit erachten, nämlich dass unsere Kinder eine höhere Ausbildung, eine akademische Ausbildung genießen, so sie wollen, so sie können, Ist nicht so selbstverständlich. War es auch nicht. Wer hat denn letztlich dafür gesorgt? War es der CEO, damals wohl der Generaldirektor der Böhlerwerke, der gesagt hat, wir müssen was tun? Oder waren es vielleicht sogar die Gewerkschaften? [00:08:20] Speaker B: Naja, es war, denke ich, und wir reden von Anfang der 1970er Jahre, es war eine generelle Aufbruchssituation. Ich kann sie nicht präziser definieren und beschreiben. Es war ein ein gesellschaftlicher Wind. [00:08:43] Speaker A: Positiv? [00:08:44] Speaker B: Negativ? Wir haben es als sehr, sehr positiv empfunden. Es war etwas, wo man gesagt hat, okay, natürlich die 68er-Bewegung ist übergeschwappt und wir waren wild entschlossen, mit all dem, auch mit den Werten der Aufbau-Generation wirklich Schluss zu machen. Sofort und natürlich das Paradies auf Erden zu zu uns zu holen und die ideale Gesellschaft zu errichten. Aber das waren natürlich Fantastereien und Spinnereien der damaligen Jugend. Wunderbare und schöne Spinnereien, aber Das ist der große Punkt. Es gab damals, es gab eine Regierung Brandt, es gab eine Regierung Kreisky. Es war ein unglaublicher Aufbruchsgeist, der durch viele, viele, viele gesellschaftlichen Ebenen durchging und Brandt und Kreisky waren Ausdruck dieser Zeit und haben natürlich diesen gesellschaftlichen Aufbruch auch befördert. Und insofern kamen wir dann an die Universitäten, wo wir auf ganz viele gestoßen sind, die ein ähnliches Schicksal und eine ähnliche Karriere hatten. Und dann war natürlich klar, wir werden Gymnasiallehrer. [00:10:09] Speaker A: Ein Lehrer! [00:10:10] Speaker B: Ja, das ist was unglaublich Solides. Und war auch offensichtlich die maximale Vorstellung unserer Elterngeneration. [00:10:20] Speaker A: Also Professor wäre Ihnen gar nicht über die Lippen gekommen. [00:10:24] Speaker B: Lehrer. Weil sicher und Staatsanstellung und all das. Ja, nach wie vor. Nach wie vor. Und aus irgendwelchen Gründen hat es zum Beispiel mich dann in die absolute Brotlosigkeit verschlagen, weil eine Dissertation in Sozialgeschichte, das war etwas, was sehr erneut außerhalb des Denkbahns gelegen. Und mit Sicherheit in der Arbeitslosigkeit enden musste, weil er sowieso was finanzieren, anstellen oder sonst irgendetwas. Und das war insofern ganz interessant, weil damals auch an den Universitäten sich aufgemacht hat ein neuer Strang. Man hat geschaut, was ist das bewegende Moment in der Geschichte. Und man ist auf die, zu meiner Zeit noch, Arbeiterbewegung sehr stark aufmerksam geworden. Auch, dass man diese Bewegung, die Gewerkschaftsbewegung, alles was mit selbstverwalteter Vertretung zu tun hat, wie eben auch die Arbeiterkammern, all das war ja praktisch außerhalb der Geschichte. Im Wort sind geschichtslos. Das wollten wir erforschen, auftun und siehe da plötzlich sozusagen ergeben sich auch Berufswege daraus. [00:12:03] Speaker A: Toll und was für einer, muss ich sagen. Ist man stolz irgendwann oder ist man durchgehend neugierig? [00:12:18] Speaker B: Stolz wäre, glaube ich, ein wirklich, wirklich falscher Begriff. [00:12:25] Speaker A: Im Sinne Ihrer Herkunft? [00:12:28] Speaker B: Im Sinne der Herkunft hat man gefunden, es ist gut. Es ist gut, dass sich solche Ebenen eröffnen und es ist ein Zeichen für die Demokratisierung der Gesellschaft. Das war schon einigermaßen, also ich glaube, dass das nicht eine Mystifizierung postante oder im Nachhinein ist. Ich glaube, dass es wirklich auch so verstanden wurde. Und der, der mir nur stolz ist, ist schwierig zu fassen. [00:13:05] Speaker A: Ja, ich weiß. Sie wissen, ich habe auch darüber nachgedacht. Das hat biblische Hintergründe. Es erinnert uns an irgendeines von diesen zehn Todsünden, glaube ich. Streif da auch dran und so weiter. Du sollst nicht zu stolz sein. Ich sage das nur deshalb, weil ich herausfinden will, in der Zeit, in der wir jetzt sind. Das ist ja die Aufgabe von Geschichte. Dass wir das, was wir schon wissen, benutzen, um das, was ist, zu verstehen und das, was kommt, vielleicht auch ein wenig führen zu können. Und da frage ich mich jetzt in der jetzigen Situation, global ist die Demokratie, um die es ja damals so sehr ging und nach wie vor, gefährdet. Sehen Sie das auch so? [00:13:52] Speaker B: Ich darf vielleicht doch ganz kurz auf einige Bewerkungen, die Sie in Ihren Fragen jetzt sehr, sehr richtig angeschnitten haben, eingehen. Zunächst war das einmal mit der Heugabel. Und auch jetzt die Frage der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit in Freiheit. Wenn man so will, Ernst Bloch hat diese wunderbare Phrase gehabt, vom radikalen Willen zum Paradies aufwärmen. Und insofern denke ich mir, es ist ganz, ganz interessant, dass ich am Ende meines Berufswegs ein Projekt verfolgt habe und ein Buch geschrieben habe, das ich meine ganze Berufskarriere machen wollte, niemals dazu gekommen bin. Das sind die spätmittelalterlichen und frühnahrzeitlichen Aufstände der Bauern der Berg. Wir haben des städtischen Bürgertums, des niedrigen Adels, all das, was man festlicherweise unter Bauern kriege, zusammengefasst. Aber darin haben wir genau diese Wurzeln. Wir haben die Wurzeln der Demokratie da drinnen, wir haben die Wurzeln des Aufbegehrens, wir haben das, was als moralische Ökonomie bezeichnet wurde. Nämlich eine sehr, sehr genaue Vorstellung davon, was gerecht ist, was gerecht sein kann und was nicht sein darf. Und das hat natürlich mit einer als ideal imaginierten Gesellschaft dergleichen und der freien Ingerechtigkeit, lange Zeit hat man es als Gottgefälligkeit auch bezeichnet, zu tun und diese Genau diese Ebenen gehen in die ArbeiterInnenbewegung. In der Mitte des 19. Jahrhunderts in England als dem fortgeschrittensten Land war das natürlich schon früher, beinahe ein Jahrhundert früher. Aber es sind diese, ich würde es fast einmal sagen, allgemeine menschliche Sehnsucht, Ja. [00:16:19] Speaker A: Verstehe ich das richtig, dass es sozusagen drei Stufen des Widerstands gibt, wenn man so will, des geführten, um nicht zu sagen des intellektuell unterlegten Widerstand. Nämlich, dass man sagt so, das hier geht auf keinen Fall. Also industrielle Revolution, Kinderarbeit, keinen Tag frei, nicht krank und so. Aus, Schluss, das geht nicht. Dann, wenn ich sie jetzt richtig verstanden habe, was geht denn? Und dann sozusagen als Top, als Sahnehäubchen, was hätten wir denn, Kern? Also die Utopie. Sind wir noch in diesem Reindl drin? Wo stehen wir da jetzt? Weil echt, wir brauchen jetzt Widerstand. [00:17:16] Speaker B: Wir brauchen ihn nicht mehr, aber jetzt wirklich. Besonders. Nun ich würde sagen, es hat aber ganz ganz große Denker gegeben, in dem Fall einen japanischen Großendenker und einen deutschen Großendenker am Ende des 20. Jahrhunderts, die davon ausgegangen sind, so jetzt ist das Ende der Geschichte. Implizit, es ist das Ende der Sozialdemokratie, die nach 140, 150 Jahren all ihre Forderungen eigentlich umgesetzt hat. Der Wohlfahrtsstaat ist gesichert, der böse Kommunismus ist zerfallen, an sich selbst gescheitert sozusagen und jetzt beginnt ein neues Zeitalter, aber dieses Zeitalter ist nicht mehr historisch bedingt. weil ja sämtliche Ungerechtigkeiten aus der Welt sind. Und siehe da, es hat nicht einmal ein gutes halbes Jahrzehnt gedauert, war man in der nächsten katastrophalen und fatalen Finanz- und Spekulationskrise drinnen, die ein Bündel von Krisen ausgelöst hat. [00:18:33] Speaker A: Sie reden von 1927. Oder früher noch? [00:18:39] Speaker B: Naja, ich würde jetzt sagen... Achso, jetzt dann. Jetzt. [00:18:44] Speaker A: Ah, jetzt. [00:18:46] Speaker B: Genau, jetzt. Und ich rede, denke ich einmal, vom Jahr 2007, 2008. Und von der Migrationskrise, Eurokrise etc. etc. etc. Also ein ganzes Krisenbündel, das sich gegenseitig bedingt, verstärkt etc. Das heißt, Niemals waren die Versprechungen einer idealen Welt so groß wie eben derzeit und niemals waren wir zugleich mit so einem massiven Krisenszenario. konfrontiert. Und dieses Niemals stimmt schon natürlich nur mehr sehr bedingt, denn Sie haben es gesagt, 1927, 1929, die große Weltwirtschaftskrise, die große Arbeitslosigkeit. Also es ist so, dass wir in Permanenz und seit der industriellen Revolution umso mehr mit Krisenerscheinungen konfrontiert sind und dagegen immer wieder die demokratische Option, die demokratische Utopie halten können und halten müssen. Also wenn derzeit von unterschiedlichster Seite sehr sehr pessimistisch mit dem Ende der Demokratie, mit der Wiederkehr des Krieges, mit der Wiederkehr dieser Wahnsinnigkeiten, wenn darüber debattiert wird, dann hat das einen guten Grund, Die Utopie des demokratischen, des gleichen, des gerechten, des unter Anführungszeichen Idealen wird niemals sterben. Niemals, solange es das Menschengeschlecht gibt. [00:20:31] Speaker A: Aber sie ermüdet gerade. Die Freiheit ermüdet, die Demokratie ermüdet. Ich rede nur von begrifflicher Ermüdung. Und wann immer ich mit Menschen darüber spreche, Und das passiert mir ja oft, weil ich ja qua meines Berufes darauf immer wieder angesprochen werde, stelle ich also einerseits fest, dass nicht mehr proaktiv Versucht wird, die Freiheit zur Verteidigung zu definieren als etwas, das uns als Leim der Gesellschaft zusammenhält, sondern es wird mir erklärt, warum sie nicht funktioniert durch die Ungleichheit unserer Welt. Und ich frage mich immer, wann ist das gekommen? Denn die großen Denker der 68er, allen voran Adorno und so weiter, haben uns das ja damals schon erklärt, dass es so ist. Jetzt entweder hat die wahrhaftige Weisheit eine Halbwertszeit oder eine Aufwuchszeit, dass es jetzt erst kommt, 60 Jahre später, oder ist das eine Art Von Zirkel, von Kreislauf, der immer wieder kommt. Wie ging es denn den britischen, damals auch englischen Arbeitern und Arbeiterinnen, als sie in den Widerstand gegangen sind? Woran haben die denn geglaubt? [00:22:13] Speaker B: Naja, zuerst hast du Zu meiner Zeit war die Begrifflichkeit die Entwicklung der Produktivkräfte. Das heißt, dass eine gesamte Gesellschaft entwickelt sich, die Technologie entwickelt sich, es kommt zu massiven Umbrüchen. ökonomischen Umbrüchen, immer wieder in der Menschheitsgeschichte, die mit einer geistigen Revolution verbunden sind, mit der Umwertung aller Werte, wenn man so will, immer wieder mal. Der Punkt dabei ist der mit der industriellen Revolution, die ja eine logische Folge eines menschlichen Fortschritts ist, eines Fortschritts im Denken, eines Fortschritts im in der Handhabung von Fähigkeiten, dass dieser enorme Fortschritt in der Menschheitsgeschichte gebahrt ist mit einem enormen Verlust an Menschlichkeit. Absurd! Was absurd ist, aber was immer wieder mal passiert und in der industriellen Revolution besonders deutlich passiert. Es geht, die berühmte Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft scheint ohne Ende und ohne Begrenzung zu sein. Das soziale Elend massiv, immer wieder Wellen von Arbeitslosigkeit, völlige Ausgeliefertheit Und da steht die englische Arbeiterschaft und von Arbeiterklasse kann man zu dem Zeitpunkt, wir reden über die 1830er Jahre oder sowas, noch lange nicht sprechen, steht die englische Arbeiterschaft aus und sagt, nein, liebe Freunde, bis hierher und nicht weiter. Was machen wir dagegen? Wir organisieren uns. [00:24:11] Speaker A: Stufe 1. [00:24:12] Speaker B: Das geht nicht. [00:24:15] Speaker A: Waren das schon die berühmt berüchtigten Gewerke, also die Gewerkschaften? [00:24:23] Speaker B: Die englische ArbeiterInnenbewegung, wenn wir bei dem Beispiel bleiben, ist eine ganz ganz ganz spezifisch gewerkschaftliche Trade, unionistische Bewegung. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Und eigentlich bis heute noch, wenn man sich die Labour-Party anschaut, haben die sehr, sehr wenig Mitglieder, Parteimitglieder. Die politische Bewegung ist immer sekundär zur gewerkschaftlichen Bewegung. Gerade im Moment vielleicht nicht so sehr, weil es darum geht eine jahrzehntelange konservative Hegemonie zu brechen, aber im Wesentlichen ist die englische Arbeiterinnenbewegung eine Gewerkschaftsbewegung, von vornherein. Darin unterscheidet sie sich von den Entwicklungen in Skandinavien, in Deutschland, in Österreich sehr, sehr stark. [00:25:23] Speaker A: Durch? [00:25:23] Speaker B: Immer die politische Partei, die Parteiung, auch weil sie um gut und gern 50 bis 100 Jahre später kam, wo immer diese ganze Bewegung sehr, sehr stark von der politischen Partei angeleitet war. Also wenn wir im österreichischen Beispiel bleiben, Viktor Adler von den siamesischen Zwillingen, einerseits Gewerkschaftsbewegung, andererseits politische Bewegung gesprochen, aber sehr sehr stark eine politische Bewegung angeführt. [00:25:58] Speaker A: Und zwar mutwillig. Bewusst. Genau, einigen wir uns darauf. Ich bin natürlich für Bass erstaunt, wenn sie jetzt sagen, dass wir so, und ich hab's gewusst und vergessen, vielleicht verdrängt, so spät dran waren. Mit unserem Widerstand. Sowohl in Deutschland, die es ja eigentlich hätten gewöhnt sein müssen, weil sie haben ja auch Preußen überstanden, was schon mal eine ziemliche Anstrengung war, und hier schon gar. Als ich 1975 nach Österreich kam, nach Wien, war ich ein immer noch brennender 68er Weltveränderer, was in meinem Job natürlich ein bisschen seltsam ist. Das war mir immer schon klar, was will ich im Theater auf der Bühne für eine Revolution anführen. Wobei, ich weiß, da machen wir einen anderen Podcast. Aber das Erste, was ich erfahren habe, war, bei uns gibt es das nicht. Bei uns gibt es keine Revolution. Bei uns hat es AK-68 gegeben, das war 75. Was ja so nicht ganz stimmt, wie wir wissen an der Uni, Bruce, diese Leute, Gott hab ihn selig. Aber, sag ich, warum? Haben sie gesagt, wir sind brav, wir gehen arbeiten, wir gehen nicht auf die Straße und wir streiten nicht. Sag ich, wer sagt denn das? Takreysky. So, das werfe ich Ihnen jetzt entgegen. Das war sozusagen mein Welcome to Austria Erlebnis. [00:27:53] Speaker B: Das ist jetzt ein, ich würde mal sagen, ein sehr, sehr breit gestreutes Fragenspektrum. Ich versuch's. [00:28:05] Speaker A: Ist es ein Sentiment oder ist es ein Faktum? [00:28:08] Speaker B: Es ist beides, denke ich. Es gibt eine berühmte Stelle in den Memoiren von Leo Trotski. Leo Trotski ist unter dem Zarismus zweimal zum Tode verurteilt, kann eine abenteuerliche Flucht durch Europa antreten, kommt nach Wien und weiß, er muss in Wien ins Vorwärtsgebäude gehen, weil dort ist das Zentrum der sozialdemokratischen Partei, die zu diesem Zeitpunkt schon einigermaßen mächtig ist, gerade eben erst ein allgemeines Wahlrecht für Männer erkämpft hat und Dieses Parteihaus hat ein riesiges, ehrenes Tor, sehr abweisend, sehr massiv. Und er klopft an dieses Tor, niemand öffnet ihn, er klopft wieder und wieder und plötzlich kommt ein Riese heraus, wie sich herausstellt. Fritz Austerlitz, der legendäre Chefredakteur der Arbeiterzeitung, und donnert ihn an. Was wollen Sie da? Und Trotsky, der der deutschen Sprache mächtig war, sagt, er sei russischer Immigrant und nach lebensgefährlicher Flucht usw. und er möchte den Dr. Adler sprechen. Riese schreit ihnen an, das geht nicht. Wie stellen sie sich das vor? Es ist Sonntag, Herr Dr. Adler ruht. Und da hat es gesagt, was ist aber wenn am Sonntag die Revolution ausbricht? Und da ist er jetzt drauf. In Österreich bricht keine Revolution am Sonntag aus. Diese Anekdote hat schon etwas, aber der Punkt dahinter ist, dass es im Österreich der Kreisky-Zeit seit den 50er Jahren so etwas ähnliches wie eine funktionierende Sozialpartnerschaft gegeben hat, die deswegen funktioniert hat, weil die Gewerkschaftsbewegung und weil die ArbeiterInnenbewegung entsprechend stark war. Und damit konnte man in ein System erkommen, das gewaltig war, dass der ArbeiterInnenbewegung die größten Erfolge in ihrer Geschichte gebracht hat, das aber zugleich tendenziell natürlich apolitisch war oder entpolitisierend war, weil man ja das Ganze delegiert hat. Der berühmte Ausspruch von Kreisky, Sozialpartnerschaft ist die Transformation des Klassenkampfes auf den grünen Tisch. Und das hat natürlich schon seine starke Berechtigung gehabt. Wir haben dann zu dieser Zeit und auch nachher noch die Streikzeit pro Arbeitnehmer und pro Jahr in Sekunden gemessen. Und das ist natürlich schon ein starkes Zeichen. Es ist aber auch ein starkes Zeichen für eine Systemzufriedenheit. [00:31:26] Speaker A: Mit dieser Sozialpartnerschaft. [00:31:28] Speaker B: Mit dieser Sozialpartnerschaft. [00:31:29] Speaker A: Die ja jetzt auch im Moment erodiert, müssen wir klar feststellen. Erodiert wird. Oder erodiert wird, genau. Werden wir noch hinkommen, wer da die Erodisatöre sind. Aber zurückkommend auf England. Da haben sich die Verhältnisse deshalb auch geändert, korrigieren Sie mich, wenn ich Blödsinn sage, weil die Arbeiterschaft allein nur durch ihr Bewusstsein, durch ihre Bewusstwertung, dass sie so viele sind und dieser berühmte Arm sind, der wenn er still steht nichts mehr rennt, zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Ist doch das gleiche wie bei Kreisky, was Sie jetzt erzählt haben. Also das heißt, der Ursprung des Widerstands, der Ursprung der Revolution, wenn wir pathetisch bleiben, liegt im Bewusstsein der eigenen Stärke. [00:32:32] Speaker B: Er liegt zunächst einmal im Bewusstsein darüber, dass es soziale und gesellschaftliche auch in der Produktion liegende Schifflagen gibt, die zu korrigieren wären. Es liegt im Bewusstsein darüber, dass es Änderungen geben muss und dass Änderungen möglich sind. Du hast in der gesamten Menschheitsgeschichte immer wieder das Phänomen, dass wenn Menschen reduziert werden auf eine auf eine soziale und intellektuelle Lage, in der es massiv keine auch nur mehr ansatzweise Möglichkeit gibt, in irgendeiner Form aufzustehen und sich zu wehren, dass das niemals, also dass Verelendung, niemals radikale Verelendung, niemals ein wirklicher Boden für Veränderung, für Aufstehen, für Revolte oder Revolution war, da gehört immer eine gewisse Basis dazu, ein gewisser Standard, Lebensstandard. würde man sagen. Der kann sehr, sehr tief sein, der kann, so wie in England geschehen oder im entwickeltesten europäischen Land, in Böhmen, das auch geradezu paradigmatisch verfolgt werden kann, dass es zwar sehr, sehr starke Veränderungsprozesse geben kann im Zuge der industriellen Revolution, aber dass ein bestimmter Punkt nicht unterschritten werden darf. Ob dann herrscht Bedürfnislosigkeit. Und der berühmte Ausspruch hieß ja auch gegen diese verdammte Bedürfnislosigkeit. Es müssen Bedürfnisse sein. Es muss das Bedürfnis nach einem besseren Leben, nach einem gerechteren Dasein gegeben sein. [00:34:32] Speaker A: Das ist natürlich gleichzeitig furchtbar. Weil der Rückschluss ist, geht es uns gut, ist uns der Fortschritt der Gesellschaft. [00:34:46] Speaker B: Wurscht. Schwierig zu beantworten, insofern, dass es uns noch nicht allzu lange gut geht. Mein Beispiel war immer, ich als Person, ich bin aufgewachsen in einem relativ gesicherten Wohlfahrtsstaat, der immer weiter und immer weiter ausgebaut wurde, im Jahrgang 1954. Ich musste nicht in den Krieg. Ich habe die Chance zur Bildung bekommen und zur Ausbildung bekommen. Das ist bitte in der Geschichte, denke ich wohl, die erste Männergeneration, die diese Privilegien genießen hat. Also so lang ist das noch nicht, dass es uns so gut geht. Und worauf Sie jetzt hinzielen, ist mir schon ganz, ganz klar. Gibt es einen Punkt, in dem all dies für selbstverständlich genommen wird, sozusagen als gesellschaftlicher Automatismus wahrgenommen wird, um uns über Wohlstand hin zur Bedürfnislosigkeit zu führen. Und das ist eine spannende und interessante Frage und die Antwort darauf wissen wir eigentlich nicht. [00:36:20] Speaker A: Wenn wir bei der Arbeiterkammer bleiben. Wie hat sich das eigentlich, das weiß ich persönlich selbst nicht einmal, wie hat sich das ergeben? Ist das aus den Gewerkschaften entstanden? [00:36:37] Speaker B: Es ist ein gewerkschaftlicher Gedanke dahinter, unzweifelhaft insofern, als es in Richtung Solidarität der Benachteiligten geht. Und es ist sozusagen sehr schnell und sehr früh in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung die Idee aufgetaucht nach einem Brainpool, nach einem Thinktank. Nach etwas, was sozusagen die Politik des Aufbegehrens oder auch mit der Zeit des Absicherns intellektuell, juristisch, in ganz, ganz vielerlei Hinsicht kulturell absichern kann. Und das ist die Idee, die hinter den Arbeiterkammern steht. In Österreich ist sie in politische und gesellschaftliche Praxis 1921 umgesetzt worden mit der großen Sozialgesetzgebung, mit dem großen Sozialgesetzgebungswerk des Textilarbeiters und Sozialministers, Vizekanzlers Hanusch, Ferdinand Hanusch. der ein geradezu gewaltiges Gesetzeswerk binnen kürzester Zeit unter schwierigsten Umständen ins Leben gebracht hat und seitdem ist die Entwicklung der Arbeiterkammer auch immer ein Spiegelbild der gesellschaftlichen und der großen historischen Entwicklungen mit ihrem Verbot, mit den Angriffen, mit der Wiedererrichtung, mit all dem. [00:38:30] Speaker A: Wenn Menschen sich dagegen wehren, dass sozusagen 99 Prozent des Reichtums acht Leuten gehört, die sich auch dann überall einmischen und mittlerweile sich ganze Staaten kaufen, nicht mehr nur Fußballfelder oder Vereine. Dann könnte es doch auch jetzt eine neue revolutionäre Bewegung von innen geben, die sagt, das wollen wir nicht. Stattdessen gibt es den Blick zurück in eine vermeintliche, und das haben Sie ja wohl gemeint vorher, Ordnung, die keine war. Eine Regelmäßigkeit, die keine war und dass diese Art des Denkens, des politischen, des gesellschaftlichen Denkens uns in einen, vielleicht sogar zwei Weltkriege hineingejagt hat, wird auch tunlichst ignoriert. Wie können wir denn wieder die richtigen Brillen aufsetzen? [00:39:41] Speaker B: Einer der größten europäischen Denker, Walter Benjamin, hat in einem nicht einmal allzu umfangreichen Aufsatz versucht, das Phänomen des Faschismus zu erklären. Und er ist logischerweise beim ersten Weltkrieg gelandet. Und Walter Benjamins Erklärung, die ich sehr, sehr zwingend und sehr, sehr nachvollziehbar halte, war die, dass es Phasen gibt in der Menschheitsgeschichte, wo die Entwicklung der Technologie, der Entwicklung des Geistes einfach davonläuft. Das heißt, wir entwickeln Maschinen, wir entwickeln eben technologisches Rüstzeug, das einmal so zu sagen, und haben aber die emotionale und intellektuelle Stärke nicht zu wissen, was wir mit diesen Technologiesprüngen tatsächlich anfangen können. Wir können sie zum Wohl der Menschen und zu deren Verderben einsetzen. Und es scheint mir, dass derzeit Entwicklungen laufen, wo genau das passiert, eine avancierte, eine großartige, niemals zuvor gekannte technologische Entwicklung scheint unserer emotionalen, unserer geistigen, unserer intellektuellen Entwicklung zu entkommen. Mit all den Konsequenzen, die es gibt, wir wissen das, brauchen wir jetzt nicht extra ansprechen, die ganzen Bubbles, die ganzen Fakenews, all das. Als Gegenbewegung ein neues sich stürzen in die Rationalität. Ein neues Aufkommen von Verschwörungstheorien, von abstrusen, absurden Welterklärungsversuchen. Das sind sie ja wohl. Die, und das ist ein interessanter Punkt, immer wieder für autoritäre und totalitäre Politexperimente ausnützbar sind. Und das ist, denke ich, im Moment die große Gefahr, mit der wir konfrontiert sind. [00:42:02] Speaker A: Was wäre das Gegengewicht? Nehmen wir die Arbeiterin heute, die mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht zu 100 Prozent zufrieden ist mit den Entwicklungen und schon gar, wenn sie geschieden ist, zwei Kinder als Alleinerziehende und so weiter und so fort. Was sagen wir der denn? Weil die Nummer mit, wenn dein starker Armes will, funktioniert nicht mehr. Also so sehr sind wir schon deindustrialisiert. In der Arbeit droht jetzt KI, der große Angstmacher. Vielleicht kommen wir dann noch dazu, darüber zu sprechen. Um mit Lenin zu sprechen, konkrete historische Situationen zu verändern. Was können wir ihr sagen? Und zwar aus der Genese eines Arbeiterjungen, der zum Professor geworden ist. Also hier gibt es nichts von wegen, das sind die Intellektuellen, die haben keine Ahnung. Sie wissen, was Arbeit ist. [00:43:07] Speaker B: Der Punkt dabei ist, dass wir gerade dieser Arbeiterin sagen, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, weil unser soziales System, das wir ja entwickelt haben, ist so stark, um dich da durchzutragen. [00:43:24] Speaker A: Funktioniert es noch, die Zwischenfrage? [00:43:25] Speaker B: Die Frage ist, funktioniert es noch? Und der Punkt dabei, das hört sich jetzt sehr sehr allgemein und sehr sehr verwaschen an, aber ein wesentliches Merkmal, wenn man so will, Zivilisationsverlust, den wir derzeit erleiden und erleben, ist dieses gänzliche Abhandenkommen von Bildung. Es wäre massiv notwendig, die Menschen ganz, ganz dezidiert und ganz, ganz klar darüber aufzuklären und sie auch herauszufordern, sozusagen. eine umfassende, ich würde mal sagen soziale, aber auch geistige Bildung zu durchlaufen. Ich weiß, das ist alles, hört sich nach zeitloser Phrase. oder ähnlich, aber ich sehe keinen anderen Weg. Man muss all diesen Verbildungen, die mit avancierten technologischen Methoden über uns gekommen sind, man muss dem massiv etwas entgegenhalten. Und ich denke mir, das wäre der einzige Weg. Ich meine, so altertümlich das klingt, aber ich bin doch ein sehr großer, ein fanatischer Anhänger der deutschen Aufklärung. Und ich sehe kaum andere Wege dem, was da gegenwärtig so läuft, entgegenzuwirken. [00:45:02] Speaker A: Also wie immer man die Aufklärung datieren will, manche sagen es ist vor 500 Jahren mit Gutenberg, andere sagen mit den großen Geistern des 20. manchmal auch des 19. Jahrhunderts, aber fest steht doch, dass immer der Mensch im Mittelpunkt ist. Und es fehlt uns heute, wie seltsam es klingen mag, der Zug zum Menschlichsein, wenn ich an 2015 denke. Wir haben noch nie so viele Österreicher und Österreicherinnen, die Hymne singen hören und die Fahne schwingen. Das hat es ja gar nicht gegeben. Auch Deutschland hat eine Fußball-WM im eigenen Land gebraucht, bevor sie mal wieder zu ihren Farben standen und so weiter. Bringt uns das denn weiter, wenn wir eine Wahrhaftige oder eine Eingebildete in diesem Fall Gefahr sehen, um wieder uns als Gemeinschaft, als Land, als Staat mit Hymne und Verfassung zu empfinden? [00:46:13] Speaker B: Hymne ist okay, Verfassung ist lebensnotwendig. Der Österreicher hat mit der Kelsen-Verfassung 1920 eine großartige, eine international vorbildhafte Verfassung bekommen, wie sie besser nicht hätte geschrieben werden können zu diesem Zeitpunkt. Wir haben uns dann nach 1945 entschieden, die Verfassungsrevision von 1929 wieder zu beleben, was ein historischer Kompromiss ist. Es wäre sehr viel besser gewesen, wir hätten uns auf die Kelsenverfassung geeinigt, aber Auch die 29er Verfassung hat eine relativ friedvolle und relativ, wie soll man sagen, erfolgreiche Entwicklung einleiten. Können der Punkt, der mir immer wieder in dem Zusammenhang einfällt und auf den ich schon hinweisen möchte, was die deutsche Bevölkerung geleistet hat im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung. Das war großartig, was die österreichische Bevölkerung geleistet hat. Zweimal oder wenn man so will, dreimal 1956 beim Ungarn, 1968 Tschechien, 1988, 1989 im Mauerfall unter großen Fluchtbewegungen. Das sind schon gewaltige Leistungen einer kollektiven Solidarität. Das darf man nicht vergessen. Und wenn natürlich heutzutage mit dieser neoliberalen Revolution, die wir erlebt haben, es sehr stark in Richtung Individualisierung und in Richtung Egoismus geht, so gibt es doch immer wieder auch, sozusagen aus der allerjüngsten Geschichte, Beispiele, die sehr sehr stark in die Gegenrichtung wälzen. [00:48:26] Speaker A: Ja und da hat ja auch Österreich wirklich und wahrhaftig eine Tradition auf den Arbeitsbereich umgelegt. Gibt es ja die Arbeitskämpfe, wie wir sie mal gekannt haben, nicht mehr. Kann es sein, dass dadurch, dass es keine keinen Radau mehr, kein sinnlich erfassbares Abenteuer, was wir ja alle, also spätestens noch 72, 73 hatten, die Deutschen noch ein bisschen mit Antiatomkraft und so weiter, nach österreichischem Vorbild, das muss man auch mal sagen, erlebt haben, das ist heute nicht mehr. Das heißt, es fehlt uns eine emotionale Erfahrung. Und die lässt sich offenbar nicht mehr übertragen als notwendig, wenn man sich doch mal überlegt, wie wenig Menschen sich jetzt noch politisch engagieren, keine politische Arbeit mehr leisten, weil sie das schulterzuckend offenbar delegiert haben an Mächtige, die dann auch noch backen, wenn ich mir jetzt überlege, welchen Schaden ein ehemaliger österreichischer Bundeskanzler angerichtet hat, um bei dieser unfassbaren Sauerei des Herrn Benko mitzumachen. Und dann muss ich mir sagen, ja, dann verstehe ich das auch, dass sie sagen, scheiß drauf. [00:50:13] Speaker B: Du siehst doch, sie sind alle korrupt. Ich denke mir, das ist, weil wir vorhin schon von diesem multiplen gesellschaftlichen Szenario gesprochen haben, das hat schon damit zu tun, dass man mehr und mehr in einer Situation, die total technisch, technologisch bestimmt ist, mehr und mehr diesen Kräften ausgeliefert ist, dass man auch Ängste hat. Und Ängste sind ja niemals rational. Daher sind sie auch ganz, ganz schwer zu bekämpfen. Sie sind leicht auszulösen und ganz schwer zu bekämpfen. Und das ist der Punkt dabei und wir haben das katastrophale und wirklich furchtbare Beispiel der späten 20er und frühen 1930er Jahre, wo sozusagen massenhafte kollektive Ängste aufgebrochen sind und in einen, wie gesagt, beinahe singulären Gewaltausbruch geändert haben, dass diese Furcht auch immer begleitet ist von einem Abwenden von komplexeren Lösungen hin zu einer autoritären Sehnsucht. Da gibt es dann die Gewalt oder die Person, die alles für uns lösen kann. Ein zweiter Punkt, und den haben sie sehr sehr deutlich angesprochen, möchte ich das gar nicht an Personen wie ehemaliger Bundeskanzler oder sonst was abhandeln. Ein zweiter Punkt ist der, dass wir eben einfach keine Systemkonkurrenz mehr haben. Es ist sozusagen die neoliberale Revolution in den späten 1980er, frühen 1990er Jahren und es gab einen welthistorischen Sieger und nach dessen Kriterien und nach dessen Regeln wird alles gespielt. Interessanterweise, und für mich als Historiker, wenn ich das jetzt so sagen darf, gleichermaßen überraschend wie großartig hat sich in diesem ganzen Spiel hier im zentralen, aber nicht nur im zentralen Europa, hier in Europa der gute alte Wohlfahrtsstaat erstaunlich gut gehalten. Das heißt, die Menschen sind immer noch in einer durchaus vertretbaren materiellen Position, aber Diese Position scheint gefährdet. Und wenn nicht real, so doch sozusagen imaginär. Und zum imaginären kann sehr schnell das Reale treten. Und dann sind solche Sachen wie, was hat denn dieser Herr Benko gebraucht? Er hat gebraucht was sie alle machen. Es sind Hütchenspiele, es sind Pyramidenspiele, es sind Ponzi-Schemes, das Ganze wird abgefährt, auch von der intellektuellen Presse, das Finanzgenie und was noch. Es ist ja immer dasselbe. Aber es ist halt das gesellschaftlich gängige, zugelassene, hegemoniale und vorbildhafte. Das ist sozusagen Menschen, die von Abstiegsängsten bedroht sind, sehr schwer zu erklären. [00:53:36] Speaker A: Ja, geht es uns selbst dazu noch zu gut, dass wir nicht erkennen wollen? Lieber Herr Göbel, ich würde sagen, es kann dem Menschen zu gut nicht gehen. Jetzt fällt mir doch ein Massiv vom Herzen. Wir kommen langsam in die Endrunde, Herr Professor. Und mir macht es großen Spaß, darf ich das mal sagen. Also ich sauge. Es ist toll, dass es so Leute wie Sie gibt. Ist es denn nicht auch ein probater Weg, wenn wir, die Amis sprechen von Gamification, dass wir das Spielerische auch im harten Arbeitsalltag suchen, finden, anwenden. Und da fällt mir natürlich die von mir so geliebte Digi-Week-Initiative der Arbeiterkammer Niederösterreich an, wo Kinder Im Sommer eine Woche lang diese IT-Geschichte, Internet, Social Media, Verantwortung, spielerisch lernen. Die schreiben Drehbücher und drehen dort Filme, wo diese Inhalte reinkommen. Ist das nicht auch, um es mal mit einem alten Wort zu sagen, in der Erwachsenenbildung ein guter Weg? [00:55:02] Speaker B: Es wäre genau die Idee und es wäre genau der Weg, den ja eben die göckliche Schulreform schon einmal vorgezeichnet hat, spielerisches Lernen, Lernen aus der alltäglichen Praxis, Lernen auch aus der Arbeitspraxis heraus. und ähnliche Dinge mehr. Das war ja das berühmte Schlagwort Lernschule statt Drillschule. [00:55:33] Speaker A: Da musste man Preußen noch loswerden. Der Drill war da noch irgendwie. Das Nonplusultra. [00:55:39] Speaker B: Ja, aber das wäre doch sozusagen, wie Sie es jetzt skizziert haben, das wäre doch ein absoluter Weg aus dem spielerischen heraus ins Kreative zu kommen und ins Reflektive zu kommen. [00:55:52] Speaker A: Jetzt sage ich Ihnen was. Also wir können ja diesen mittlerweile schon sensationellen Erfolg dieser Initiative mit den DigiWeeks in den Arbeitsbereich mit übernehmen und auch dort in verkleinerter Form spielerisch werden. Sie sagen ja, weil dann setze ich mich dafür ein, ich habe einen guten Draht dort rein. Ich kenne den Präsidenten, ich sorge um das. [00:56:22] Speaker B: Aber jetzt sind wir auf einem Punkt, der auch nicht ganz ungefährlich ist, weil ich würde plädieren, jeder Mensch, jede Person muss Historikerin werden, um sich selbst sozusagen, um sein eigenes Bewusstsein, um seinen Selbstwert zu kennen. Bei Ihnen wäre es ein kreativer Beruf, wie man das Kombinieren können. [00:56:48] Speaker A: Das versuchen wir ja gerade hier und ich finde ein Teil ist uns ja auch gelungen. Man darf ja das Menschliche nicht verlieren vor lauter Intellektualismus und vor lauter Intellektualismus, Ablehnung, wo ich ja auch im Moment große Sorgen habe, wenn ich mir manche Demos anschaue und was dort über Wissenschaft erzählt wird, wird mir auch Angst und Bang. Vielleicht kann man dem auch spielerisch. Ich habe erlebt in Ganz kurz, erst die letzten paar Monate, dass sie in diesen berüchtigten Konfrontationen, die wir so im Alltag haben, wenn wir mutwillig aus unserer Babel rausgehen und an einem Wirtschaftstisch sitzen und so weiter, mit diesem Dagegenhalten nicht weiterkommen. an Schmäh zu sagen, da habe ich jetzt was gelernt, was mir zum Beispiel in den letzten fünf Jahren seit ich hier bin im Bischofstätten im Morstviertel so ergangen ist, was die Bauern. Ich bin Vegetarier, aber ich habe gar nicht genug gewusst, um mich dafür zu entscheiden. Die Entscheidung ist geblieben, aber ich weiß jetzt mehr. Also dieses spielerische Vermitteln von Wissen. Und weil wir ja von Ihnen auch wissen, dass Sie dem Spiel nicht abgeneigt sind, jetzt nicht im Casino, aber Sie sind ein Fußballfan, richtig? Sie sind ein Grün-Weißer, richtig? Hat das was mit der Herkunft zu tun? [00:58:22] Speaker B: Wie zufällig ist das? Es hat mit der Herkunft zu tun und es hat mit der Leidensfähigkeit zu tun. [00:58:32] Speaker A: Ja, Jungs und Mädels, die ihr uns jetzt zuhört, die eure Herzen grün-weiß schlagen, er hat recht. Er hat recht und wir sind froh, dass wir in guten und in schlechten Zeiten. Ich weiß auch von einer zweiten Leidenschaft, sie haben deren bestimmt noch einige andere, ist die Anglistik. beschäftigen sich sehr mit allem, was ich nicht herausgefunden habe und wo ich jetzt nur raten kann. Also Fußball, Anglistik, das schreit eigentlich sehr nach Musik, aber da wusste ich nicht, ist es Bach, Beethoven oder ist es Beatles? Ist es vielleicht etwas, was nicht mit B anfängt? [00:59:19] Speaker B: Puh, Musik, soweit mir das zugänglich ist, seit Bach vorher wenig, seit Bach bis Joe Zawinul wird so ziemlich alt. Das ist ein großes Kulturgut der Menschheit. Und das sollte man sich aneignen, ist ein Blödsinn. Man sollte sich ihm nähern. Gehört mit zum Schönsten, was wir erleben können. [00:59:49] Speaker A: Und kann es einen schöneren Weg geben in Richtung Bildung als durch Musik und Poesie? So ist es. Ich danke Ihnen sehr für dieses wunderbare Gespräch. Danke für Ihre Arbeit. Schnell noch, gibt es ein aktuelles Buch, das wir empfehlen können von Marder Tanner? [01:00:06] Speaker B: Naja, es gibt zwei aktuelle Bücher, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf. Das eine ist eben über die sogenannten Bauernkriege, heißt Zeitenbrüche, sozialrevolutionäre Aufstände in habsburgischen Landen. ist bei Campus in Frankfurt an der Main erschienen, 2023, und das zweite ist ein ganz kleines, schmales Buch, es ist eine Wiener Vorlesung, heißt Gott will es und beschäftigt sich mit den Legitimationsmustern des Austrofaschismus. [01:00:45] Speaker A: Uh, den wir ja ausgespart haben jetzt noch. Das schreit aber nach einer weiteren Geschichte. Also wir fangen das nächste Mal mit dem Austrofaschismus an und gehen dann in die künstliche Intelligenz. Ich danke Ihnen. So, das war ein Montalk mit Professor Dr. Wolfgang Marder-Taner zur Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Österreich. Ja, wir sind ein wenig lang geworden diesmal. Aber ich meine, es hat sich gelohnt. Danke für die Aufmerksamkeit und wir wünschen Ihnen eine schöne, arbeitsreiche und vielleicht auch eine etwas spielerische Woche. Bis dann. [01:01:24] Speaker B: Ciao, ciao. [01:01:27] Speaker A: Die Arbeiterkammer NÖ hat eine neue App. Die AK-Blitz-App. Ab sofort zum Downloaden. Bleiben Sie am Laufenden, erhalten Sie alle relevanten Informationen. Und Sie wissen ja, noch nie war es so wertvoll zu wissen, wo man seine Informationen her hat. Die AK-Blitz-App. Ab sofort zum Downloaden. Das war der MONTALK, Chefredaktion Susanne Karner, Redaktion Mario Gattinger und Carina Karras, Straßenumfragen Christoph Baumgarten, Faktenbox Bettina Schapsschneider, Technische Leitung Stefan Dangl, Administration Christina Winkler, am Mikrofon Alexander Göbel.

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